YouTube – und die Urheberrechtsverletzungen
Der Bundesgerichtshof hatte aktuell in einem Verfahren über die Haftung des Betreibers der Internetvideoplattform „YouTube“ für von Dritten auf der Plattform begangene Urheberrechtsverletzungen zu entscheiden:
In dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Rechtsstreit hat ein Musikproduzent geklagt, der mit der Sängerin Sarah Brightman im Jahr 1996 einen Künstlerexklusivvertrag geschlossen hatte, der ihn zur Auswertung von Aufnahmen ihrer Darbietungen berechtigt. Im November 2008 erschien das Studioalbum „A Winter Symphony“ mit von der Sängerin interpretierten Musikwerken. Zugleich begann die Künstlerin die Konzerttournee „Symphony Tour“, auf der sie die auf dem Album aufgenommenen Werke darbot. Anfang November 2008 waren bei dem von Google betriebenen Dienst „YouTube“ Videos mit Musikwerken aus dem Repertoire von Sarah Brightman eingestellt, darunter private Konzertmitschnitte und Musikwerke aus ihren Alben. Nach einem anwaltlichen Schreiben des Musikproduzenten sperrte Youtube jedenfalls einen Teil der Videos. Am 19.11.2008 waren bei „YouTube“ erneut Tonaufnahmen von Darbietungen der Künstlerin abrufbar, die mit Standbildern und Bewegtbildern verbunden waren. Der Musikproduzent hat Google sowie die Alphabet auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Hamburg hat der Klage hinsichtlich dreier Musiktitel stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen1. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat Google verurteilt, es zu unterlassen, Dritten in Bezug auf sieben näher bezeichnete Musiktitel zu ermöglichen, Tonaufnahmen oder Darbietungen der Künstlerin Sarah Brightman aus dem Studioalbum „A Winter Symphony“ öffentlich zugänglich zu machen2 Ferner hat es Gooble zur Erteilung der begehrten Auskunft über die Nutzer der Plattform verurteilt, die diese Musiktitel unter Pseudonymen auf das Internetportal hochgeladen haben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit den vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revisionen verfolgt der Musikproduzent seine Klageanträge weiter und erstreben Google die vollständige Abweisung der Klage.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren zunächst mit Beschluss vom 13.09.20183 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der „Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, der Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt und der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“ zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Fragen durch Urteil vom 22.06.2021 entschieden4.
In Umsetzung dieses Urteils hat der Bundesgerichtshof nun der Revision des Musikproduzenten stattgegeben, soweit das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hinsichtlich der Musiktitel auf dem Studioalbum „A Winter Symphony“ und einiger auf der „Symphony Tour“ dargebotener Musiktitel die gegenüber Google geltend gemachten Unterlassungsansprüche und Ansprüche auf Schadensersatzfeststellung und Auskunftserteilung abgewiesen hat. Der Revision von Google hat der Bundesgerichtshof stattgegeben, soweit das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg sie zur Unterlassung und zur Auskunft über die E-Mail-Adressen von Nutzern verurteilt hat. Hinsichtlich der Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatzfeststellung hat der Bundesgerichtshof die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg zurückverwiesen.
Die geltend gemachten Unterlassungsansprüche sind nur begründet, wenn die Bereitstellung von Nutzern hochgeladener rechtsverletzender Inhalte auf der von Google betriebenen Plattform sowohl im Handlungszeitpunkt als auch nach der im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Rechtslage eine die Rechte des Musikproduzenten verletzende öffentliche Wiedergabe darstellt.
Das nach der Rechtslage im Handlungszeitpunkt maßgebliche Recht der öffentlichen Wiedergabe ist nach Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG harmonisiert, sodass die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Urheberrechtsgesetzes richtlinienkonform auszulegen sind.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform, der weiß oder wissen müsste, dass Nutzer über seine Plattform im Allgemeinen geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen, selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG vornimmt, wenn er nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen. Lediglich reaktive technische Maßnahmen, die Rechtsinhabern das Auffinden von bereits hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalten oder die Erteilung von darauf bezogenen Hinweisen an den Plattformbetreiber erleichtern, genügen für die Einstufung als Maßnahmen zur glaubwürdigen und wirksamen Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen nicht.
Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass die allgemeine Kenntnis des Betreibers von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform für die Annahme einer öffentlichen Wiedergabe des Betreibers nicht genügt, dass es sich aber anders verhalte, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern. Der Bundesgerichtshof hält vor diesem Hintergrund für den durch Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG vollharmonisierten Bereich nicht an seiner Rechtsprechung fest, nach der in dieser Konstellation keine Haftung als Täter einer rechtswidrigen öffentlichen Wiedergabe, sondern allenfalls eine Haftung als Störer in Betracht kam. Hier tritt nun die Haftung als Täter an die Stelle der bisherigen Störerhaftung. Dabei sind die schon bisher für die Störerhaftung geltenden, an den Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung zu stellenden Anforderungen auf die Prüfung der öffentlichen Wiedergabe übertragbar.
Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass der Betreiber einer Sharehosting-Plattform, der allgemeine Kenntnis von der Verfügbarkeit von Nutzern hochgeladener rechtsverletzender Inhalte hat oder haben müsste, selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalte vornimmt, wenn er ein solches Verhalten seiner Nutzer dadurch wissentlich fördert, dass er ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.
Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat keine hinreichenden Feststellungen zu der Frage getroffen, ob Google als Betreiberin der Youtube-Plattform die geeigneten technischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen auf ihrer Plattform ergriffen hat, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer erwartet werden können. Die vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, Google habe ihre durch einen Hinweis auf die klare Verletzung der Rechte des Musikproduzenten ausgelöste Pflicht verletzt, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu diesen Inhalten zu verhindern.
Sofern das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg aufgrund der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Feststellungen zur Annahme einer öffentlichen Wiedergabe durch Google gelangt, wird es weiter zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe auch nach dem seit dem 1.08.2021 geltenden Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten5 vorliegen.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 2. Juni 2022 – I ZR 140/15
- LG Hamburg, Urteil vom 03.09.2010 – 308 O 27/09 [↩]
- OLG Hamburg, Urteil vom 01.07.2015 – 5 U 175/10 [↩]
- BGH, Beschluss vom 13.09.2018 – I ZR 140/15 – „YouTube I“ [↩]
- EuGH, Urteil vom 22.06.2021 – C682/18 und C683/18 „YouTube und Cyando“ [↩]
- BGBl. I 2021 S. 1204 [↩]